Polymere und Biomaterialien
Aktuell fokussiert sich die Arbeitsgruppe auf bio-adhäsive und bio-repulsive Materialien und Beschichtungen mit gleichzeitig hoher Zell- und Biokompatibilität. Idealerweise lassen sich die Eigenschaften dieser Materialien auch auf Abruf und innerhalb kürzester Zeit schalten. Damit dies gelingt, sind eingehende Untersuchungen der Materialoberfläche hinsichtlich ihrer Hydrophilie, Rauigkeit, Schichtdicke, Elastizität und Biokompatibilität notwendig. Nur aus einer derartigen Korrelation von Materialeigenschaften und den resultierenden biologischen Wirkungen kann ein tiefes Verständnis für das Design neuer, verbesserter Biomaterialien generiert werden.
Neben der Untersuchung von phäno- und genotypischen Veränderungen von Säugerzellen in Kontakt mit Biomaterialien und Oberflächen nutzen wir verstärkt auch die Rasterkraftmikroskopie (AFM), um attraktive Kräfte zwischen Zellen und Oberflächen in Abhängigkeit von der Kontaktzeit und Temperatur zu quantifizieren.
Langfristig zielen wir auf ein detailliertes Verständnis der Interaktion von Matrixmaterialien mit biologischen Einheiten ab, um rationale Designkriterien für synthetische Biomaterialien mit optimierten Eigenschaften abzuleiten.
Thermoresponsive Oberflächen
Thermoresponsive Polymere sind unterhalb ihrer kritischen Lösungstemperatur (engl. LCST) vollständig löslich. Bei Temperaturerhöhung der Lösung über diesen kritischen Wert werden die Polymere abrupt unlöslich und fallen aus. Derartige Phasenübergänge sind nicht auf Polymerlösungen beschränkt, sondern treten auch auf, wenn die solvatisierten Polymerketten auf Oberflächen immobilisiert sind. Solche Phasenübergänge auf der Oberfläche gehen in der Regel mit einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Änderung der Hydrophilie der Polymere und somit der Oberfläche einher. Über die temperaturabhängige Hydrophilieänderung der Oberfläche kann gleichzeitig auch die unspezifische Adsorption von Proteinen auf der Oberfläche gesteuert werden, weil Proteine mit hydrophoben Oberflächen generell deutlich stärker wechselwirken als mit hydrophilen Oberflächen. Da die Adhäsion von adhärenten Säugerzellen auf Oberflächen ein proteinvermittelter Prozess ist, lässt sich somit auch die Zelladhäsivität der Oberfläche thermisch steuern und reversibel schalten: Somit lässt sich die Zelladhäsion und das Ablösen von Einzelzellen, aber auch zusammenhängenden Zellmonolagen von der Oberfläche kontrollieren. Über diese Technik werden zweidimensionale konfluente Zellverbünde mit intakter extrazellulärer Matrix (ECM) über ein schonendes Zellernteverfahren zugänglich gemacht. Alternative Standard-Techniken ermöglichen nur die Ernte von Einzelzellen über enzymatischen Verdau der zelloberflächengebundenen Adhäsionsmoleküle und der ECM.
Gewebeaufbau mithilfe von Zellschichten
Unter dem Begriff „Cell sheet engineering“ versteht man den gerüstfreien Gewebeaufbau durch das Stapeln oder Rollen konfluenter Zellschichten, die mit Hilfe thermoresponsiver Oberflächen zugänglich sind. Das zugrundeliegende Konzept wurde in Japan von T. Okano und Mitarbeitern entwickelt. Dabei ist die Dicke derartig aufgebauter Gewebemodelle auf 150-200 µm beschränkt, da keine Blutgefäße vorhanden sind, die die Zellen im Inneren des Konstrukts mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen sowie den Abtransport metabolischer Abfallprodukte sicherstellen. Aktuell verfolgen wir unterschiedliche Strategien zum Aufbau von vaskularisiertem, dickem Gewebe mit Hilfe von Zellmonolagen. Die Gewebekonstrukte sollen anschließend auf ihre Eignung in der toxikologischen Sicherheitsprüfung von neuen Materialien und Wirkstoffen evaluiert werden. Das Ziel besteht in der Schaffung von alternativen Testmethoden zu Tierversuchen. Darüber hinaus verwenden wir im Bereich der regenerativen Medizin die Technik des Cell Sheet Engineering in Kombination mit dem 3D-Druck von Gerüstmaterialien zum Aufbau funktionalen Gewebes für den Organersatz.
Zell- und Gewebekleber
Für den künstlichen Gewebeaufbau in vitro und chirurgische Eingriffe sind biokompatible Zell- und Gewebekleber nützlich.
Wir haben biokompatible Polymere entwickelt, die an Säuegerzellen binden und als Zell- und Gewebekleber für den künstlichen Gewebeaufbau einsetzbar sind. Dabei haben wir den Einfluss der Polymergröße, der Struktur sowie der Anzahl der bindenden Gruppen untersucht, um eine optimierte Bindungsstärke und Zellkompatibilität zu erreichen. Entsprechend der Zielapplikation werden abbaubare oder nicht-abbaubare Polymere eingesetzt. Aktuell arbeiten wir an einer verbesserten Langzeitlagerstabilität, vereinfachten Handhabung und Applikation sowie einem gezielten „Einschalten“ der Klebefunktion des vollsynthetischen Gewebeklebers.
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